Der Weg zum Ehrenhof war kürzer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Bereits unterwegs erzählte der Theologe kleine Geschichten und
Anekdoten über die Schlosskirche. Er war der geborene Erzähler. »Haben Sie den Schlüssel dabei, Herr Wischniewsksi?«,
fragte ich ihn, als wir vor der Kirche standen. »Wozu, Herr Palzki? Unsere Kirche ist tagsüber stets geöffnet. Für jedermann.
Kommen Sie nur herein.« Er öffnete das Portal und ich staunte Bauklötze. So unscheinbar wie sie von außen wirkte,
so gigantisch groß war sie im Innern. War dies eine optische Täuschung oder war da Zauberei im Spiel?
Ich blickte nach oben. Fast die komplette Decke war von einer Art antikem Wimmelbild ausgefüllt. So sehr ich auch suchte,
den Drachen fand ich nicht. »Da ist kein Drache.« Wischniewski kicherte in sich hinein. »Den Drachen entdecken nur Kinder.
Für Erwachsene ist er so gut wie unsichtbar.«
MP3-Hörprobe: Palzki und Jutta in der Schlosskirche.
Schlosskirche Mannheim
Die Schlosskirche ist Teil des Westflügels des Mannheimer Schlosses. Sie diente von 1731 bis 1777 als Hofkapelle der
Kurfürsten von der Pfalz und ist heute Pfarrkirche der alt-katholischen Gemeinde. 1720 verlegte Kurfürst Carl Philipp die Residenz der Kurpfalz von Heidelberg
nach Mannheim und legte noch im selben Jahr am 2. Juli den Grundstein für das Mannheimer Schloss.
Hinter dem Altar befindet sich die Sakristei, von der man in die kurfürstliche Gruft gelangt. Carl Philipp und seine
dritte Frau, Gräfin Violantha von Thurn und Taxis, sind hier in prächtigen Sarkophagen begraben. Sie wurden 1946 aufgebrochen.
Bei der polizeilichen Untersuchung wurde festgestellt, dass der einbalsamierte Leichnam des Kurfürsten relativ gut erhalten
war, von seiner Gemahlin waren hingegen nur noch die Gebeine erhalten. Der gefundene Orden vom Goldenen Vlies und das
Großkreuz des Hubertusordens wurden dem Badischen Landesmuseum übergeben. Auf dem Sarkophag Carl Philipps trugen
ursprünglich zwei Putten ein großes Medaillon mit dem Bildnis des Kurfürsten. Es befindet sich heute in den
Reiss-Engelhorn-Museen. (Quelle: Wikipedia)
Die Schlosskirche in "Ahnenfluch" - Der Geheimgang
Wer hat als Kind nicht davon geträumt, einen geheimen Gang zu entdecken? So, wie es Enid Blytons Fünf Freunde in jedem Band erlebten?
Auch ich war davon seit der zweiten Klasse fasziniert, nachdem ich als Einstiegsdroge "Die Arnoldkinder auf Geisterjagd" verschlungen hatte.
Als Erwachsener lächelt man natürlich über die eigene Naivität der Kindheit. Längst ist unseren Breiten alles erforscht, zumindest dort,
wo man als Normalsterblicher hinkommt. Doch weit gefehlt, der 23. August 2012 änderte mein Leben. Okay, das ist vielleicht etwas
übertrieben, dennoch wird mir der Tag in Erinnerung bleiben ...
Gegen 17 Uhr traf ich mich mit Herrn Alexander Wischniewski vor der Mannheimer Schlosskirche. Als Kunsthistoriker, Theologe und
Mitglied der alt-katholischen Gemeinde zeigte er mir die Schlosskirche und die Gruft. Ich durfte nicht nur in den Vorraum der Gruft,
Herr Wischniewski schloss für mich sogar die stets verschlossenen Gittertüren auf. Auf dem Foto sehen Sie den Sarkophag des Kurfürsten
Carl Philipp. Links von dieser Aufnahme, in einer eigenen Grotte, liegt Gräfin Violantha von Thurn und Taxis. Herr Wischniewski
erläuterte die zahlreichen Verzierungen des Sargs, doch mich interessierte etwas anderes ...
(Klicken Sie auf die Fotos um hochauflösende Aufnahmen zu erhalten)
Während meiner Recherchen in den Katakomben der Eichbaum-Brauerei (Räuberbier - Palzki Band 5) lernte ich, wie gefährlich fehlender
Sauerstoff bzw. zuviel Kohlenstoffdioxid sein kann. Man schläft sehr schnell ein, für immer, und merkt es nicht einmal.
Der Zugang zur Gruft beginnt hinter der Kirche in der Sakristei. Eine steile Treppe führt nach unten. Meine Frage nach dem lebenswichtigen
Sauerstoff beantwortete Herr Wischniewski mit einem Lächeln: "Neben jedem Sarg geht ein Lüftungsschacht nach draußen. Erstickt ist
hier unten noch niemand." Tatsächlich, der Lüftungsschacht in der Grotte der Gräfin geht in Richtung Bismarckstraße. Durch den etwa ein
Meter langen Schacht kann man nach draußen schauen. Nicht so beim gegenüberliegenden Schacht beim Kurfürsten (siehe Foto). Er ist viel
länger und soll hinter dem Schloss an einem ebenfalls vergitterten Ausgang enden. Der Blick hinein endet im Dunkeln.
Immer noch deutete Herr Wischniewski auf die Verzierungen des Sargs, die ich in dieser Vielfalt niemals im Roman benennen konnte.
Ich weiß nicht mehr warum, vielleicht war es Ungeduld: Ich hielt den Foto in Richtung Lüftungsschacht und drückte ab, der Blitz
löste automatisch aus. Das Resultat verblüffte uns beide. "Das gibt's doch nicht", meinte mein Führer, als er auf das Display des
Fotos schaute. "Der Abzweig nach oben ist mir absolut unbekannt. Ich kenne die Pläne, da ist nichts dokumentiert." Und so ist es bis heute
geblieben: Nach wie vor weiß niemand, was sich hinter der Abzweigung verbirgt. Wer weiß, ob und wann dieses vermutlich letzte
Geheimnis des Barockschlosses Mannheim gelüftet wird.
Weitere Informationen zum Thema:
Wikipedia: Schlosskirche Mannheim
Wikimedia Commens: Fotos der Schlosskirche Mannheim
Video: Glocken der Schlosskirche Mannheim
Alt-katholische Gemeinde Mannheim-Ludwigshafen-Hessloch
Fotos: Wikipedia (Deckenbild), Harald Schneider     
Palzki-Autorenseite     
Gmeiner Verlag